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Weg-Fragen

Wir Menschen kommen mit bestimmten Absichten auf die Welt. Zumindest behaupten das viele Kulturen. Wem „Absicht“ zu konkret ist, der kann auch „Aufgaben“, „Prägungen“, „Veranlagung“ und ähnliches dazu sagen.

Meines Erachtens sind alle dieser Vorhaben zuerst einmal neutral zu betrachten. „Gut“ und „böse“, „falsch“ und „richtig“ sind Dinge, die im Nachhinein hinzugefügt werden. Ist es ein Ausprobieren? Sind es Experimente? Sind es zwanghafte Versuche, alte Wunden zu heilen, ungelösten Dramen ein Happy End zu verpassen? Inwiefern ist Freiwilligkeit im Spiel, inwiefern ein Geworfensein, eine Unausweichlichkeit? Wer mag das letztendlich, ein für alle Mal beantworten? Die, die es könnten, sagen nichts dazu.

Manche arbeiten sich am Macht-Ohnmacht-Dilemma ab, andere an Liebe und Täuschung, an Zugehörigkeit und Ausgeschlossensein, an Wissen und Borniertheit, an Erkenntnis und Hybris, an Heiligkeit und Scheinheiligkeit. Das sind alles legitime Versuche. Die Yogatexte, die sich damit befassen, und viele tun das wie selbstverständlich, in Nebensätzen und mitten in Texten, die anderes zum Thema haben, sprechen von einem Drang zum Ausgleich, der letztlich nur in Liebe möglich ist. Und dabei ist nicht die Liebe gemeint, die ab- und zunimmt, die Gründe hat, die in Hass umschwenken kann, die mit Anziehung und Zuneigung zu tun hat.

Mit etwas lockerer Distanz betrachtet, ist unser Leben ein großes Labor. Mein Meister nannte das Leben eine Universität, an der man lernt und studiert. Was man studiert, ist, wie an der Uni, unterschiedlich.

Manche aber erreichen einen Punkt in diesen „Versuchsreihen“, da sich auf einmal oder mit der Zeit herauskristallisiert, dass all diese Versuche wohl eher Nebensachen sind, weil sie wichtige, immer brennendere Fragen nicht beantworten können. Wenn Beziehung, Wohlstand, Wissen, Macht, Familie, Ansehen, etc. NICHT glücklich machen, so könnten zum Beispiel eine Frage lauten, was ist es dann, was mich antreibt, was will ich denn wirklich? Was ist Glück, was ist Zufriedenheit? Die yogischen Texte sagen uns, dass jeder Mensch seine Wünsche erfüllt sehen wird, samt den Folgen der aus ihnen resultierenden Taten. Und dann gibt es Situationen, wo du endlich erreicht hast, was du gesucht hast, und merkst dann, dass es das doch nicht war. Was für ein böses Erwachen! Nach all der Mühe, all der Entschlossenheit, all dem Training, ist das Ergebnis nur ganz kurz befriedigend, besonders im Vergleich zur Mühe.

Du willst Reichtum und sagst, lass den vamdev doch schreiben, und gib mir… (welche Summe auch immer), das genügt mir. Man kann ja sagen, dass einem Statistiken gleichgültig sind, weil man anders als alle anderen ist. Die Statistiken bei Lottogewinnern sprechen aber eine klare Sprache. 70 Prozent aller Gewinner von Millionenbeträgen stehen wenige Jahre später finanziell schlechter da als vor dem großen Los. Auch haben Lottomillionäre eine besonders hohe Selbstmordrate.

Wunscherfüllung? Wohl eher Wunschverführung! Manchmal fragen mich Menschen, welche Ziele ich im Leben habe, welche Träume. Dann verweise ich vorsichtig auf mein Alter. Aber das mag sie nicht abbringen von ihren Fragen. Was will ich mit Träumen und Zielen, was soll man damit? Jede und jeder, so heißt es in einem alten Shaivatext, lebt sein Schicksal aus. Also, was nützt mir da das Wollen und Träume haben? Liegen meine Wünsche und Träume mit meinem Schicksal, meinem Karma auf einer Linie, dann heißt es, der hat es geschafft, mit eigener Willenskraft, er lebt seine Träume. Wenn das nicht der Fall ist, heißt es, dass man gescheitert ist.

Für Yogis und Yoginis gibt es kein Scheitern. Wir sind auf dem Weg, wir verstehen langsam die Zusammenhänge hinter allem, wir erkennen mit der Zeit, dass all das, was wir so lange als sehr wichtig und essentiell angesehen haben, nur Beilagen zum eigentlichen Gericht des Lebens sind. Warum nicht die Folgen der alten Wünsche, Träume und Handlungen, die ja deine Lebenszeit ausfüllen, nicht mit tiefer Einsicht in die Zusammenhänge und mit Vehemenz ausleben – runterleben, kann man da auch salopp sagen.

Wenn du Rennfahrer bist, dann fährst du möglich gut auf einem vorgegebenen Kurs, du machst nicht Geraden rein, wo Kurven sind und fährst auch nicht mal einfach so in die andere Richtung. So kann man das Leben auch sehen. Der Kampf um Aufstieg und Abstieg, gesellschaftlich, materiell, intellektuell, ist wohl eher ein Scheingefecht, ein Kampf mit Windmühle, mühsam, heftig, aber wenig wirkungsvoll.

Wir können unseren Neigungen nicht entkommen, unsere Prägungen. Brauchen wir auch nicht. Wer das versucht, der schenkt ihnen viel zu viel Aufmerksamkeit, wie eine Ein-Personen-Gondel, in die eine Fußballmannschaft einsteigen soll: viel zu viel Gewicht. In Wirklichkeit ist das Leben das GROSSE Geschenk, das wir uns selbst, Shiva, schenken, jede Sekunde aufs Neue. Und zu diesem Leben gehören nicht nur die scheinbar äußeren Ereignisse, sondern auch unsere Art und Weise, sich mit ihnen und in ihren zu bewegen.

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