Brückenkopf-Syndrome

Jetzt ist wieder einmal die Zeit, in der viele Menschen anderen, die ihnen nahe stehen, etwas schenken wollen. Was für ein wundervoller Wunsch. Schon für den allein könnte man sich in die Menschheit verlieben! Wir stehen einfach auf Schenken, und die meisten von uns sogar mehr, als auf das Beschenktwerden.

Ich bin mir sicher, dass auch viele LeserInnen dieses Blogs sich jetzt denken: Das wäre doch eigentlich eine gute Gelegenheit, meinen Lieben meinen Weg vorzustellen. Natürlich ist mir klar, dass das viele schon vor langer Zeit versucht haben, nur um es wieder aufzugeben. Zu weit war die Kluft, die es zu überbrücken gab. Und vielleicht war auch nicht so klar, dass man dieses Brückenkopf-Dasein erlernen muss, und dass der Lernprozess dafür nicht der Gleiche ist, der uns auf unserem Weg weiterschreiten lässt.

Wer das einmal verstanden hat, und leider verstehen das viele erst viel zu spät, der überlegt sich vielleicht, ob es nicht auch ein Buch täte, eine CD, ein Film – kurz, irgendetwas oder jemand, der Bescheid weiß und alles erklären kann. Das hat den Vorteil, dass die Beschenkten nicht Stellung für oder gegen dich beziehen müssen, sondern nur für oder gegen den Inhalt des Buches, etc.

Wie kann man diese Kluft überbrücken? Jemand, der ganz im Egoleben verfangen ist – nochmals: DAS ist vollkommen normal – wie kann so jemand je wirklich Yoga, der einen Meister so sehr benötigt, wie wir Luft zum Atmen, nahe bringen, wenn doch der Meister immer das Ende der falschen Vorherrschaft des eigenen Egos einläutet? Natürlich betont eine egozentrierte Kultur die Unabhängigkeit des Menschen. Der Blog, der zu meinem Blog geführt hat, löst mit seinen Blogregeln schon erstaunliche Kommentare aus, so dass der Betreiber löschend bei den Kommentaren eingriff.

Unabhängigkeit ist DAS kulturelle Gut, das viele Menschen mit Klauen und Zähnen verteidigen, obwohl unser Leben ein dichtes Geflecht von Verbindungen und Bindungen, zu denen jede und jeder selbstverständlich verpflichtet wird, darstellt. Und das sind nur die äußeren Gefangenschaften, die ja erst so richtig aktiviert werden, durch zwangsläufige Denk- und Fühlmechanismen, Prägungen oder mentale Konditionierung in der Yogaliteratur genannt.

Und da kommt man dann mit Gurus und Meistern und „ich tue, was du mir sagst“ (der letzte Vers der Bhagavad Gita). Wie soll das gehen? Naja, vielleicht nicht mit der Tür ins Haus fallen, meinst du. Vielleicht zuerst einmal Meditation, Hatha Yoga Übungen, dann vielleicht Mantrasingen, weil es irgendwie an Schulchor und Stadiengesänge erinnert, also nicht so fremd ist, und dann, ganz am Ende, kann man ja vielleicht eine Diskussion über Meister, etc. führen.

Ich habe das schon auf sehr viele Arten versucht. Und viele Menschen haben versucht, mir weis zu machen, dass man zum Beispiel über das „yogische“ Bodenturnen mit der Zeit das Interesse an der „geistigen Dimension“ von Yoga in anderen wecken kann. Wie bitte soll denn das gehen? Wenn du dich mit Hefekuchen befasst, bekommst du dann Interesse, eine Autowerkstatt zu eröffnen? Hey, hey, magst du jetzt denken, so ein Vergleich ist doch absurd! Nein, ist er nicht, denn Bodenturnen und Yoga sind so weit auseinander. Wenn du Sonnenblumen pflanzt, dann ist es einfach Unsinn, darauf zu hoffen, dass mehr Menschen sich für deinen Glauben interessieren.

Yoga führt zu Trennung der Identifikation mit dem Ego. Wenn jemand da etwas anderen in den Schriften gelesen hat, würde mich diese Quelle interessieren. Ich spreche jetzt nicht von modernen, dem westlichen Lesern sich anbiedernden indischen Lehrern, sondern von den Texten der Tradition, die auch neueren Datums sein können. Nur halt nicht dem unglücklichen Vermischungswahn nachgegeben haben.

Diese Trennung der Identifikation kann nur der Meister durchführen. Wer meinen Blog jetzt schon ein wenig lesend verfolgt hat, der weiß schon, dass ich damit nicht die physisch-persönliche Seite eines Menschen meine, zu dem man diese Meister-Schüler-Beziehung aufbaut. Ich spreche hier von dem verkörperten Meister, der in unserer Zeit wirkt und initiiert und dann seine SchülerInnen von innen her stützen und unterstützen kann. Dafür ist eine persönliche Begegnung NICHT von Nöten, wie viele von euch wissen. Aber die Haltung eines Schülers ist wohl wesentlich für diesen Prozess, im Laufe dessen ich kapiere, dass ich ein Ego HABE und es nicht BIN, und wie sehr diese Funktion meines Geistes die Aspekte meines Lebens bestimmt. Diese Schülerhaltung, die ist es, die so vielen Menschen hier nicht nur schwer fällt, sondern zu so vehementen Reaktionen führt.

In meinem Buch habe ich versucht, das zu klären. Und ganz einfach kann man sagen, dass die Idee der Unabhängigkeit eine totale Fata Morgana ist, ein Hirngespinst  das schon eher schlicht und einfältig ist. Diese Identifikation selbst auflösen zu wollen, ist wie der Versuch, sich an den Ohren aus dem Sumpf zu ziehen, in dem man zu versinken droht. Die selbstlose, völlig bedingungslose Hilfe und Liebe des Gurus abzulehnen, ist nur ein Spiegelbild dafür, wie sehr man sich selbst misstraut.

Ich selbst hatte nie das Gefühl, wirklich verführbar von außen zu sein, nicht mit 15, und auch mit 25 nicht.

Wer gerne wissen möchte, wie man die Bedeutung des Meisters erklären kann, ohne dass es NUR Widerstände gibt, der solle sich einfach überlegen, wie wir gehen, reden, schreiben, denken, etc. gelernt haben. Ohne Lehrer, von denen wir ganz und gar abhängig waren, wäre das nie gegangen. Und unser System mag es gar nicht, wenn Erstklässler sich in der Schule weigern, sich unterrichten zu lassen oder die Methoden, wie man das ABC vermittelt, anzweifeln.

Wir erlauben niemanden, Autofahren mit der Lerning-by-doing Methode zu lernen. Auch ein Mediziner darf nicht probieren, wie eine Operation wohl am besten durchzuführen wäre, und sich so am Patienten selbst seine grundlegenden Infos holen (oder vielleicht doch? :)). Wir werden von Menschen ausgebildet, von denen wir während der Ausbildung abhängig sind. Daher hat unsere Kultur zum Teil sehr strenge Regeln für die Menschen verfasst, denen wir erlauben, zu lehren.

Und dann, auf dem spirituellen Weg, von dem wir auch bei tieferem Einstig nur langsam eine Ahnung erwerben, oder, was noch schlimmer ist, nur MEINEN, etwas zu verstehen, diese Nebelwanderung durchs Moor unserer Missverständnisse, die gehen wir voller Überzeugung und Entschlossenheit ohne Führung an.

Das ist schon etwas Erstaunliches an uns Menschen, wie ich finde: Unter der Obhut des Egos sind wir schon zu enormen Selbstüberschätzungen in der Lage.

Wenn du also wieder einmal als Brückenkopf fungierst, dann benütze deinen gesunden Menschenverstand in deiner Argumentation, schärfe dein eigenes Verständnis, damit es auch alltagstauglich ist, und bringe deinen Weg auf den Boden, ohne Yoga-Amerikanismen (Chanten für Mantrasingen zum Beispiel) oder  indische Worte, die du nicht wirklich klar erklären kannst, Esogesäusel und Scheinheiligkeit. Dieser Weg ist klar, stark und gut nachvollziehbar. Wenn du einen gesunden Menschenverstand hast, dann sollte Yoga gut verständlich sein.

Wenn du Unterstützung brauchst, melde dich :).

4 Kommentare

Eingeordnet unter Der Yoga der Weisheit im Alltag

4 Antworten zu “Brückenkopf-Syndrome

  1. Satchidananda

    Lieber Vamdev,

    der Brückenkopf. Du schreibst: „Und vielleicht war auch nicht so klar, dass man dieses Brückenkopf-Dasein erlernen muss, und dass der Lernprozess dafür nicht der Gleiche ist, der uns auf unserem Weg weiterschreiten lässt.“ – Kannst du mehr dazu sagen?

    Ich bin nicht sicher, ob ich dich verstanden habe. Ich würde niemals diese zwei Aspekte verbinden. Was und wie ich mit meinen Freunden und Familie über die Yogischen Denkweise rede, hat doch nichts mit meiner spirituellen Entwicklung zu tun, kann es sie nicht beeinflussen.

    Weiter schreibst du: „..dass die Beschenkten nicht Stellung für oder gegen dich..“- genau das ist glaube ich der Grund, wieso mich niemand auf dieses Thema anspricht. Ich fühle, dass meine Liebsten dieses Thema ignorieren, so dass sie nicht in die Lage kommen, Stellung gegen und für mich beziehen zu ‚müssen‘. Ich habe schon Mitgefühl mit ihnen, da sie mich gut kennen, seit Jahren, und auf einmal bekenne ich mich zu einer yogischen Tradition, sie spüren, dass es mir ernst ist und sind verunsichert, weil sie es nicht verstehen, sich nicht getrauen, Fragen zu stellen, und so bleibt das Thema immer so diffus in der Luft hängen.

    Wenn ich nichts sage, dann bildet jeder seine Meinung aufgrund seiner bescheidenen Info, die oft nicht viel mehr beinhaltet als Yoga = Körperübungen, Guru = Sekte, eine Tradition folgen = religiös, gläubig sein. Ich habe das Bedürfnis, meine Liebsten mit etwas mehr Info einzudecken, weil es so viel MEHR beinhaltet. Doch manchmal, wenn ich nur einen Satz sage, sehe ich, wie der Laden (so sagen’s wir Schweizer, der Fenster- oder Rolladen) schon runter geht. Das ist erstaunlich.

    Bis jetzt konnte ich mit meinen Freunden und Familien über alles reden. Auch wenn ihnen etwas nicht passte, wenn sie unterschiedlicher Meinungen waren, konnte man irgendein Thema in die Runde werfen. Doch bei diesem ‚Thema‘ spüre ich im vornherein schon eine totale Ablehnung oder ein Sich-verschließen, so dass jedes weitere Wort ungehört bleibt. Oder bin ich es, der so vorsichtig und verunsichert ist?

    Jedenfalls gibt es nun niemanden in meiner Familie, niemanden meiner Freunde, die dem gegenüber offen wären, die mir Fragen stellen würden. Das ist schon erstaunlich. Oder eben nicht?

    Wenn du, Vamdev, betonst, wie wichtig das Verständnis ist, dann sehe ich nicht, wie es genügt, dass wir Leuchttürme sind, die einfach leuchten; wie es genügt, dass, indem wir die Lehren leben, wir andere inspirieren können. Wie kann das sein, wenn doch diese Menschen keinen Bezug von meiner Lebens- und Denkart mit dem Yoga machen?

    Ich versuche ganz die Lehren in mein Alltagsleben zu verflechten, an das Mantra und meinen Guru zu denken und das ist mein Geheimnis. Nach aussen hin sage ich nichts. Es ist auch so, dass ich manchmal mein Verständnis übersetze in eine Sprache, die meinem Gegenüber entspricht, der Situation und was ihm helfen könnte und was er hören könnte. Das ist mein Lernprozess. Und dieser Lernprozess ist total spannend.

    Doch was sich seltsam anfühlt ist, dass ich neu mein Liebstes, mein Ein-und-alles (mein Guru und die gesamte Philosophie) nicht mit meinen Liebsten (meine Familie) teilen kann. Zum Glück sind neue liebe Menschen in mein Leben gekommen, mit denen ich darüber reden und Erfahrungen mitteilen kann: der Sangham (Gemeinschaft von Yogis).

    Alles Liebe euch allen!
    Satchidananda

  2. Satchidananda

    Lieber Vamdev
    Einen Tag nach meinem Kommentar zu „Brückenkopf“ möchte ich gerne dir von einem Telefongespräch heute erzählen: Meine Gesprächspartner sagt mir: „Wahrscheinlich bist du so klar in deinen Entscheidungen wegen dem Yoga und der Meditation“. Hihi 🙂 Gestern schrieb ich im Kommentar, dass keiner den Bezug macht und heute erhalte ich diese Antwort! Wie schnell das geht, da muss ich nur schmunzeln! Jay, jay, to you, my innermost being!
    Alles Liebe

  3. Kumari

    Liebe Satchidananda,

    ja ich empfinde es so, dass es wirklich kein leichtes Unterfangen ist, seinen Freunden und Verwandten etwas über den Yogaweg, den ich gehe, zu erzählen. Alle wissen es, dass ich meditiere, Yogakurse und längere Seminare besuche, meine Lebensgewohnheiten und meine Ernährung geändert habe – aber tiefer gehende Fragen von ihnen? Nee, lieber nicht.

    Aber missionieren, so nenne ich das mal, darauf habe ich keine Lust. Was soll ich Leuten von Yoga, wie wir ihn erleben und praktizieren erzählen, wenn es nicht auf hörende Ohren trifft?

    Allerdings glaube ich schon, dass ich genau beobachtet werde, mehr als mir wahrscheinlich bewusst ist – und wenn ich im passenden Moment mal eine Äußerung „aus yogischer Sicht“ mache, wird es positiver aufgenommen, als ich vermute. So, wie Du das eben in Deinem Kommentar geschrieben hast. Was mich sehr gefreut hat und mich angeregt hat, dieses zu schreiben.

    Ein Beispiel von meiner Freundin, die jedes Jahr zweimal Halbmarathon läuft. Sie schrieb mir, dass sie vor ihrem letzten Lauf noch einen Kurz-Yoga-Kurs eingeschoben hat, in dem die Läufer mental und körperlich mit Dehnungsübungen auf den Lauf vorbereitet werden sollten. Ach ja, Yoga und Laufen…

    Das habe ich dann dazu genutzt, ihr zu erklären, wozu die Yogaübungen (Asanas) eigentlich im ursprünglichen Sinne gedacht waren, wie sie entstanden sind und was es mit ihnen auf sich hat- wie meine Einstellung heute dazu ist und wie ich meinen Yogaweg verstehe. (also nicht „Bodenturnen“ sondern ein tiefgehender spiritueller Weg), Ich hatte die Befürchtung, dass ich ihr vielleicht Infos gegeben habe, die sie gar nicht interessierten, aber sie hat es sehr positiv aufgenommen und sich gefreut, eine tiefere Erklärung zu Yoga, wie ich es lebe und verstehe zu bekommen.

    Alles Liebe von Kumari

  4. Sarvadevi

    Liebe Kumari, und alle die mitlesen…..

    Genauso wie du es beschreibst, werde ich mir immer bewusster, dass ich genau beobachtet werde von den Menschen, die mit mir ‚zu tun‘ haben.

    Mir scheint es manchmal, dass sich Gnade die „schwierigste“ Form aussucht um sich mir zu offenbaren. Dort, wo ich am meisten meinte zu lieben, wo ich am meisten gesprochen und mich „eingesetzt“ habe, bei meinen allernächsten Verwandten, findet still eine Transformation statt. Ich habe dabei nicht mehr einmal das Gefühl, etwas zu tun oder erreichen zu wollen……

    Der Schatz des inneren sprachlosen Erlebens weitet sich unaufhörlich aus…. mit der Zeit spricht die Stimme durch die Münder meiner Liebsten……

    Wie aus den Augen eines Kindes erstrahlt der entzündete Baum, der in unserer Tradition für das Licht Gottes steht. (WIr haben ja auch eigenartige Rituale)

    Diese uns innewohnende Fähigkeit, den Geist „anzuhalten“ und genau hinzuhören, die wurde mir erst im mittleren Alter von 42 Jahren (seither sind sieben Jahre vergangen) durch eine indische Meisterin vermittelt. Ihre klare Führung hat DURCH DIE ZEIT meinen Geist beruhigt und dafür offen gemacht, den Yogaweg so zu verstehen, wie NUR ICH ihn verstehen kann…….. durch die dienende Hingabe in die Lehre, die ich von ihr erhalten habe.

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