Die Worte, die verwandeln

Meine Meisterin gibt seit Jahren so etwas wie eine Botschaft aus für das neue, kommende Jahr. Ich war vor langer Zeit in Indien dabei, wo diese Tradition ihren Ursprung nahm, als jemand aus dem Publikum fragte, a, kurz nach Mitternacht, am Ende unserer Neujahrsfeier, ob sie uns nicht eine Botschaft für das Neue Jahr mitgeben könnte.

Heute, mit moderner Technologie, geht das sogar über das Internet über Live Stream und zum Nachhören. Was mich erstaunt an den Worten, an den Lehren der Meister, ist, dass sie eine derartige Bandbreite von Schülern führen und inspirieren können, wie das bei meiner Meisterin der Fall ist. Etliche von uns hat sie sozusagen ererbt von ihrem Meister, dann kommen Menschen zu ihr, die zum ersten Mal etwas mit Yoga zu tun bekommen. Alle lernen, können sich weiter entfalten.

Ich finde es so schade, dass es in unserer Kultur nicht mehr die Institution der spirituellen Meisterschaft gibt. Wenn jetzt jemand meint, ich läge da falsch, dann liegt das wohl daran, dass nicht klar ist, was einen Meister wirklich auszeichnet. Und sogar viele Schüler von echten Meistern vergessen das auch wieder im Laufe der Zeit, dichten dem Meister ihre eigenen Unzulänglichkeiten an, unter dem Mantel des Menschlichen. Kann man ja verstehen, die sind ja auch nur Menschen. Na denn!

Für uns ist es schier unvorstellbar, dass es unter Menschen Vollkommenheit geben kann. Zu sehr ist unser Ego in der Lage, schnell und unleugbar zu beweisen, dass wir Menschen einfach unzureichend sind, milde ausgedrückt. Und so finden wir uns ab mit diesem allzu menschlichen Gewöhnlichen, mit Größe, die nur die eigenen Abgründe bedeckt, mit angelesener Weisheit, mit pseudoheiligen Worten, mit scheinbar liebenswürdiger Nachsicht und einer Vorsicht, die dem Wandeln auf rohen Eiern gleicht, nur damit uns niemand zu Nahe tritt, weil wir das auch nicht tun.

Dann ist da der Guru, der die Fahne des wahren Möglichkeiten des Menschseins hochhält, der sich nicht beeindrucken lässt von unserer Überzeugung von Mickrigkeit, der unnachgiebig den Weg zeigt und in uns unsere eigene Transformation vorantreibt.

Als Schüler ist es natürlich, von den Worten des eigenen Meisters berührt zu sein, sie tief in sich einzulassen. Wenn ein Mensch die Rolle des Schülers eines Gurus annimmt, dann erteilt er, bewusst oder unbewusst, diesem Meister weitreichende Vollmachten, die aber jederzeit widerrufbar sind, was ja auch viele immer wieder tun. Meist liegt das daran, dass ihnen nicht klar ist, was das für eine Verbindung zwischen Meister und Schüler ist, was ein Schüler ist, was ein Meister ist und wie sie zusammenwirken.

1986 hat mir meine Meisterin einmal gesagt, ich solle ein Buch schreiben über den Guru, aber ein gesellschaftspolitische Buch, kein spirituelles. Denn alle Probleme der modernen westlichen Gesellschaft und vor allem auch die Probleme, die wir so freizügig in den Rest der Welt exportieren, stammten vom Ego, über dem kein Meister mehr steht. Die große Sehnsucht der Hingabe, die nur ein Guru stillen kann, versuchen wir in Arbeit, in Beziehungen, in Besitz und Macht zu beruhigen. Wie aber soll das gelingen? Eine Kultur ohne Meister ist wie ein Huhn, dem der Kopf abgeschlagen wurde. Es macht noch ein paar wilde Bewegungen, aber sein Leben ist in Wahrheit schon zu Ende.

Die Worte eines Gurus haben die Kraft zu verwandeln, von innen heraus, wenn man das zulassen kann. Was haben wir denn schon zu verlieren? Unsere Unabhängigkeit? Und woraus besteht die bitte? Dass wir immer mehr und ungebremst unseren Prägungen anheim fallen?Dass wir ertrinken in Wünschen und Gelüsten, im Immer Mehr des Immer Mehr?

Viele Menschen auf den geistigen Wegen, wenn man das überhaupt so nennen kann, verschanzen sich hinter zusammengeschusterten Gruppen von Lehrern, denen sie dann als Gesamtheit Guruqualitäten zuschreiben. Ein Einlassen ist so erfolgreich verhindert. Das eigene Ego ist immer noch Dirigent und Orchester und Kritiker in einem. Nichts Wesentliches kann passieren, zumindest nicht, was durch die Guru-Schüler-Beziehung möglich war.

Du magst dich jetzt fragen: Wie kann der das alles nur so (frech) behaupten? Nun, das Ego ist entweder am Drücker oder es ist es nicht. Ohne Guru wird es seine Vormacht nicht aufgeben. Wie sollte es auch? Kann mir das jemand erklären, der meint, das ging auch ohne? Alles Liebe

Hinterlasse einen Kommentar

Eingeordnet unter Der Yoga der Erkenntnis, Der Yoga der Schülerschaft

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..