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Ego, Kunst und Yoga

Ich kann mich an eine Geschichte erinnern, die meine Meisterin uns einmal erzählt hat. Gerade hatte wieder einmal einer der großen Instrumentalvirtuosen der klassischen indischen Musik bei uns im Ashram gespielt. Sie sagte uns, dass sie ganz hingerissen war. Mein/ihr Guru hatte ihr dabei zugesehen und sie gefragt, ob ihr die Vorführung gefallen habe. „Ja, sehr“, sagte sie. „Du denkst bestimmt manchmal daran, dass du das auch gerne können wolltest, stimmt’s?“ Sie nickte. Und dann, so erzählte sie uns, hätte er sich zu ihr gebeugt und ganz eindrücklich gesagt: „Aber das ist ALLES, was sie können. Wenn du weißt, dass du Shiva bist, wenn du dich ganz erkannt hast, dann kannst du alles!“

Ich hatte oft das Vergnügen, Kunst um meinen Guru herum zu erleben. Einmal, als ein berühmter Sarangispieler für ihn gespielt hatte, sang er vorher Shri Ram, Jay Ram, a cappella, ganz schlicht, mit seiner älter werdenden Stimme und sagte, dass DAS seine Musik wäre, die ihn berührt. Dann kam das umwerfende Konzert. Ich war so begeistert, dass ich mir alle CDs dieses Interpreten kaufte, nur um festzustellen, dass keine Aufnahme auch nur annähernd an seine Darbietung im Ashram herankam.

Kunst und Yoga, noch viele dieser Geschichte könnte ich erzählen. Manche Reaktionen meines Meisters auf Kunst – ich hatte ja Literatur, russische, indische und deutsche an der Uni studiert – schienen mir etwas schlicht (ich habe Scheu, das so zu schreiben, aber ich war, als ich das so sah, ziemlich neu), er schien etwas gegen abstrakte Kunst zu haben (ich dachte mir, naja, er hat halt eine starke Erd-Betonung in seinem Horoskop). Einmal malte ein berühmter moderner Maler ein, wie ich fand, wunderschönes drei-tafeliges großes Bild für ihn zu seinem Geburtstag. Das Gemälde wurde im kleinen Speisesaal des Ashrams aufgebaut, damit er es sehen konnte. Wir alle, die in der Küche arbeiteten, und nur wir bekamen es zu Gesicht, waren sehr beeindruckt. Als mein Meister dann kam, ging er zweimal vor dem Bild auf und ab, er sah es an und machte eine wegwischende Handbewegung mit den Worten, ihm gefiele es gar nicht.

Vielleicht war der Maler, der neben ihm stand, sehr stolz auf sein Werk, erwartete die Bewunderung meines Meisters. Das schien mir eine gute Begründung plus astrologische Überlegungen zu sein.

Aber heute kann ich das anders sehen. So oft war ich befreundet mit Menschen, die gerne Romane lasen, gefesselt waren von den Schilderungen menschlicher Herausforderungen und Schicksale. Bevor ich meinen Meister traf, war ich an möglichst ungewöhnlicher, abgefahrener Kunst interessiert. Albert Camus (der war damals, als ich 14 war, schon noch ziemlich abgefahren), Existenzialismus, ich las Philosophen, die möglichst ungewöhnliche Gedanken hatten – das beeindruckte mich. Ich wollte auch ungewöhnlich denken, fühlen, leben.

Aber dann kam der Wendepunkt in meinem Leben, ich war 20. Voller Ideen, voller Kunst, voller Melancholie. Von einem Augenblick zu anderen verschwand mit der Erweckung meiner inneren Kraft diese Melancholie, die bis dahin die Basis meines Gedichteschreibens war, die ich in meinem Gemälden ausdrückte. Sie war weg. Mein Guru hatte mir das bei unserer ersten Live-Begegnung genommen.

Ich hörte zuerst einmal auf, zu schreiben, es gab dieses inneren Drang nicht mehr. Mein Kunstgefühl und mein Kunstverständnis änderten sich. Ich studierte Germanistik, aber nach ein paar Jahren merkte ich, dass ich nur Egomeinungen über Egowerke studierte. Meinungen über Meinungen. Mit den Jahren verlor ich ganz das Interesse an dem, was man heute Kunst nennt, an der zur Schau gestellten menschlichen Dramatik, vielleicht brillant gemacht, aber eben doch in erster Linie Egobeweihräucherung.

Einmal kaufte ich mir vor einem Flug einen Band Kurzgeschichten eines Indianers, der eine interessante Vita hatte, aber schon in der Mitte der ersten Geschichte hatte ich genug. Ich dachte damals daran, dass mein Guru immer gesagt hatte, dass es Kunst gibt, die von Menschen gemacht wird, die ganz identifiziert sind mit ihrem Ego und dass es rein inspirierte Kunst gibt, in der das Ego mit all seinen Gehilfen keinen Platz fand. Er sagte, das wäre die einzige Kunst, die es wert wäre, sich mit ihr zu beschäftigen.

Heute ist meine ehemals große Bücherei, ich hatte bis 18 über 1000 Bücher gelesen, auf ganz wenige geschrumpft. Ich bin sehr vorsichtig, welche Kunst ich um mich habe. Wenn ich Jnaneshwar lese oder Utpaladeva oder Shankaracharya, dann ist das für mich Kunst auf höchster Ebene. Dagegen hat für mich jemand wie Tschaikowsky nur seine Neurosen an seinen Zuhörern ausgelebt, hat mit seiner großen Fertigkeit seine Verlorenheit in seiner emotionalen Ungehaltenheit verewigt. Ich merkte, als ich vor ein paar Jahren zu einem Konzert eingeladen war, dass ich das nicht mehr hören wollte, seine Musik, die ich einst so liebt, langweilte mich. Der Ausdruck persönlicher Psychoprobleme – das hat in unserer Kultur ungefähr bei Beethoven so richtig angefangen – hat für mich ganz seine Schönheit verloren.

Vielleicht gibt es ja wieder einmal Kunst, die sich nicht nur dem selbstverliebten Einmaligkeitswahn hingibt. Einmal war ich eingeladen auf einer Vernissage in New York, der Künstler war selbst anwesend, und die Medien etc. etc. Er lief überall rum und erklärte allen, dass er ja sehr schwer psychotisch wäre, ständig an Selbstmord dachte und dass sich das halt auch in seinen Bildern ausdrückte, die aus Strichmännchen mit gestrichelten Blutspritzern bestanden. Es war eine sehr ernste, fast depressiv-gedrückte Stimmung in den Räumen. Ich konnte mir das Lachen fast nicht verkneifen. Der hatte nicht einmal die Fertigkeiten, die Tschaikowsky und Schubert wenigstens noch hatten.

Ich kann mir nicht gut vorstellen, wie man ernsthaft den Yogaweg gehen kann und auf Dauer an der westlichen Art von der Selbstdarstellungskunst interessiert sein kann. Wenn du also bei dir beobachtest, dass du da das Interesse verlierst, dass rauschende Woizek-Inszenierungen für dich nicht mehr so recht der Knüller sind, weil dir das emotionale Gestammel wirklich nicht mehr die Gänsehaut gibt, dann sei beruhigt. Ich persönlich halte das für ein gutes Zeichen.

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