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Ich und ICH und „ich“ – berechtigte Sprachprobleme 2

Sanskrit ist wirklich eine philosophische Sprache, bestens geeignet für das Erklärung feiner Zusammenhänge.

Als Vorbereitung auf die Woche im August lese ich gerade Abhinavaguptas Paramarthasara (was der Übersetzer des Textes mit „Die Essenz der höchsten Wahrheit“ wiedergibt).

Wer sich mit der Schaiva-Tradition aus Kaschmir schon ein wenig auseinandergesetzt hat, dem ist die Sprache, dem sind die Worte schon einigermaßen vertraut. Immer wieder geht es darum, wie Shiva (bitte verzeiht mir die etwas schlampige Schreibweise mit sh, die es ja im Deutschen nicht gibt. Aber den „sch“-Laut in „Shiva“ gibt es eben im Deutschen nicht, denn das wird ganz vorne gesprochen, ist ein Zwischenlaut zwischen unserem „s“ und „sch“) sich ausweitet als Schöpfung, gleichzeitig aber immer Shiva bleibt.

An einer Stelle in diesem Werk beschreibt Abhinavagupta (der im 11. Jh. lebte) seiner innere Erfahrung. Diese Beschreibung finde ich wunderbar, ihre Übersetzung gab Anlass zu diesem Artikel.

[Für alle, die dieses nicht Werk besitzen – gibt es in dieser Übersetzung, die sicher ihres Gleichen weltweit sucht, weil der Übersetzer auch ein Yogi ist, und nicht nur, wie in Indien üblich, Schriftgelehrter – handelt es sich um die Verse 48 – 50; Paramarthasara of Abhinavagupta,ISBN 978-81-904489-0-1; das Muktabodha Indological Research Institute hat die großartige Aufgabe unternommen, möglichst viele Originalsanskrittexte zu digitalisieren, um sie für uns und unsere Nachwelt verfügbar zu machen. Die Ergebnisse dieser schwierigen Aufgabe kann man ohne weiteres auf www.muktabodha.org  kostenlos einsehen UND runterladen. Was für ein Service!]

In „mir“ allein offenbart sich das Weltall als (leblose Gegenstände wie ein) Krug oder Spiegel. Vor „mir“ geht dieses Weltall aus, wie die unterschiedlichen Traumformen, die im Schlaf entstehen.

Das höchste „Ich“ allein nimmt die Form des Weltalls an, wie ein Körper, der aus Händen, Füßen, etc. besteht. In allem manifestiert sich nur das „Ich“ allein, das als Licht, das alles ausleuchtet (und damit alles sichtbar, erkennbar, macht).

Was für wundervolle Verse, die, das ist so gedacht, der Erklärung bedürfen. Aber was ich dabei so auffällig finde, ist, dass im Sanskrit (so viel verstehe ich auch noch davon) von „aham“ die rede ist und das heißt „ich“, wobei dabei immer auch „bin“ mit eingeschlossen ist (aham – „ich bin“). Ich bin aber sicherlich nicht nur in Gänsefüßchen („“ – gibt es diesen Begriff überhaupt noch?) der, auf dem Abhinavas Beschreibung zu trifft, oder? Ich, normal, und „ich“ Shiva?

Es fällt auf, dass der Übersetzer sich sehr windet, wenn es darum geht, dazu zu stehen, dass ich Shiva bin.

Das liebe, gute, wie meine Meisterin es einmal mir gegenüber nannte, alte Ego kann von seinem Alleinstellungsbedürfnis nicht ablassen. Ich bin also Ego, aber „ich“ bin Shiva, der ein „Er“ ist, DAS „Ich“ (müsst ihr da nicht lachen? DAS Ich?). Wieso nur hält unsere Ego so sehr daran fest, NICHT Shiva zu sein?

Na ja, lieber vamdev, könntest du sagen, irgenwie müssen wir das doch unterscheiden Ego-ich und Shiva-ich. Na ja, würde ich darauf sagen, im Sanskrit gibt es weder ein großgeschriebenes noch ein Gänsefüßchen „ich“. Sondern nur „aham“.

Ich bin Shiva, das ist das Entscheidende. Hier also nochmal der Versuch einer Übersetzung der Übersetzung.

In mir allein offenbart sich das Weltall als (leblose Gegenstände wie ein) Krug oder Spiegel. Vor mir geht dieses Weltall aus, wie die unterschiedlichen Traumformen, die im Schlaf entstehen. (nur die Gänsefüßchen weggelassen)

Ich allein nehme die Form des Weltalls an, wie ein Körper, der aus Händen, Füßen, etc. besteht. In allem offenbare ich mich allein als das Licht, das alles ausleuchtet (und damit alles sichtbar, erkennbar, macht).

Liest sich auch besser, finde ich :). Ich möchte euch dazu einmal eine Geschichte erzählen, die vielleicht meine letzten Artikel wie einen bunten Blumenstrauß zusammenhält.

Ende der Neunziger, Anfang dieses Jahrtausends lebt ich mit meiner Familie in Atlanta. Dort gab es ein wunderbares, energiegeladenes Meditationszentrum für meine Meisterin. Und es gab viele Familien, die schon Anfang der Siebziger Jahre meinem Meister begegnet sind, und seit dieser Zeit ihr Leben auf dem Weg gelebt haben. Besonders eine Familie, schon Yogis in der 3. Generation, entwickelte ein hervorragendes Kinderprogramm, das sehr populär war. Es kamen immer ca. 50-100 (!) Kinder samt Eltern zu diesen Veranstaltungen, die meist Theaterstücke mit Publikumsbeteiligung über das Leben von MeisterInnen waren, oder berühmten indischen Ikonen wie Rama oder Krishna. Die Kinder hatten dabei einen Heidenspaß, sangen das Mantra, wir tanzten immer zum rhythmisch gesungenen Mantra und sie lernten auch das Meditieren.

Der Moderator einer Veranstaltung, der auch der Initiator dieses Programms war, sagte damals in der Meditationsanleitung: „Wir richten unsere Augen, Ohren, unser Fühlen – einfach alles – nach innen, um Gott in unserem Herzen zu erleben.“

Der Mann und ich kannten uns schon lange, aus gemeinsamen Zeiten mit unserem Guru. Ich sprach mit ihm über dieses Satz, und es war mir wichtig, dass er sich anhörte, wie das für mich war. Und wir sprachen als Schüler unserer Meisterin miteinander, nicht als Veranstalter und Besucher. Denn für mich sind wir alle im gleichen Boot, wir sind wie ein Aristokratenklub, in dem alle den gleichen Stand, aber unterschiedliche Funktionen haben. Auf dem Yogaweg gibt es keine hohen und niedrigen Schüler, wer Toiletten putzt ist nicht niedriger als ein Ashram-Manager oder der persönliche Sekretär des Meisters.

Ich sagte ihm, dass mich das schon betroffen gemacht hat, was er da (und das war ja nicht das erste und einzige Mal) am Anfang der Meditation gesagt hatte. „Warum“, fragte ich, „kannst du nicht sagen, dass wir uns nach innen wenden (wenn man das schon so sagen will), um UNS ALS Gott zu erleben.“

Ich bemerkte, dass er etwas ratlos und ziemlich überrascht von meiner Frage war. Die hatte offenbar noch niemand gestellt. Ich sagte zu ihm des weiteren, dass ich ja meine Tochter zu so einem Programm bringe, damit sie eindrücklich hört, „ich bin vollkommen“, „ich bin Shiva“, „ich bin Gott“. Sehr nachdenklich und liebevoll sagte er: „Ja, das werde ich wohl in Zukunft anders ausdrücken.“

Ich kenne so viele SchülerInnen meiner Meister, die NIE auf die Idee kämen, WIRKLICH in sich zu denken, zu sagen, zu rufen: „Ich bin Shiva, von mir allein geht alles aus. Ich bin allumfassend, allgegenwärtig.“

Wenn du diese Zeilen liest, und dich ein leichtes Unbehagen beschleicht, wenn in dir ein Gefühl ist, „also DAS fände ich jetzt schon etwas übertrieben“, etc., dann untersuche einmal in dir, woher dieses Gefühl kommt. Untersuche seine Quelle, ihren Ursprung.

Aber ganz gleich, ob du diese Quelle in dir finden kannst, wiederhole weiter in dir Shivo’ham – ich bin Shiva, purno’ham, ich bin vollkommen.

Ja, könntest du jetzt sagen, das mach ich. Shivo’ham, shivo’ham, purno’ham, purno’ham. Aber ich empfehle dir, auch die deutschen Worte, die diese wundervollen Sanskritmantras bedeuten, zu wiederholen: Ich bin Shiva, ich bin vollkommen. Denn das sich bei diesen Worten so unwohl fühlende Ego sollte sich nicht abkapseln können in seiner Begrenztheit, indem es sich hinter dem für uns relativ gefühlsfreien Sanskrit versteckt.

Alles Liebe!

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